Höranstrengung

Mein zum Thema „Höranstrengung“ verfasster Leserbrief wurde in der Fachzeitschrift für Menschen mit Hörbehinderung „Spektrum Hören“ Ausgabe Nr. 6 November/Dezember 2021 abgedruckt. Er bezog sich auf den sehr lesenswerten Artikel über das Thema Höranstrengung in der vorherigen Ausgabe Nr. 5 September/Oktober 2021. Einen Überblick über die Zeitschrift finden Sie unter www.spektrum-hoeren.de.

Hier der Text meines Leserbriefes:

Sehr geehrte Frau Facius,

vielen Dank für Ihren sehr lesenswerten Artikel über die Höranstrengung. Sowohl als selbst Betroffene als auch in meiner Arbeit kann ich bestätigen, dass sich Hörbeeinträchtigte schneller erschöpft fühlen als gut hörende Menschen. Auch der Hinweis von Frau Renee Iseli-Smits im daran anschließenden Artikel „Nebeneffekt Hörermüdung“, dass das eigene Leben umgestellt werden muss und die eigene Zeit möglichst „energiesparend“ geplant werden muss, halte ich für sehr wichtig. Schließlich kann auch die beste Technik die Beeinträchtigung nicht ganz beseitigen und können genug Pausen, angemessene Freizeitgestaltung, Aufklärung der Mitmenschen, angepasste Freizeitbeschäftigungen, eine andere Gestaltung des Arbeitsalltags bis hin zum Wechsel des Arbeitsplatzes oder gar des Berufes hilfreich und notwendig sein.

Darüber hinaus möchte ich folgendes ansprechen: Am Ende eines Tages wissen Betroffene oft nicht so recht, was genau sie so erschöpft sein lässt. Denn es gibt im Leben jede Menge andere Probleme: Konflikte, Kompetenzgerangel, Kampf um Posten und Karriere, verschiedene große und komplizierte Projekte, die am besten gleichzeitig und möglichst schon vorgestern erledigt sein sollen… dazu private Konflikte, Trennung, Scheidung, Tod von Angehörigen und Freunden, Erziehung der Kinder, pflegebedürftige Angehörige, Streitigkeiten im Verein… also haben Menschen mit Hörbeeinträchtigung all das, was gut hörende Menschen auch haben – aber mit fehlendem oder beeinträchtigten Hörsinn sind diese Schwierigkeiten schwerer zu stemmen. Dazu kommt, dass Hörbeeinträchtigte oft auch mehr oder weniger sprachlich beeinträchtigt sind und daher nicht so gut wie andere ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern können, es ihnen also oft nicht oder nicht gut gelingt, sich Gehör zu verschaffen.

All das sehe ich nicht nur als Defizit, sondern führt manchmal zu sehr kreativen Auswegen, Umwegen, Lösungsmöglichkeiten und ganz besonderen Fähigkeiten. Nur ist dies den Betroffenen oft nicht bewusst. Bei geringem Selbstwertgefühl werden eigene Leistungen oft nicht bemerkt, werden anderen Personen aus ihrem Umfeld zugeschrieben oder werden klein geredet. Da ist es gut, wenn Betroffene sich von Zeit zu Zeit eine Hörpause gönnen, zurückschauen und sich selbst auf die Schulter klopfen für das, was sie bereits geschafft haben. Und nicht vergessen: zu überlegen, wer sie gut unterstützt hat, wem sie dafür danken möchten und wer noch in die Pflicht genommen werden muss und welche Beziehung keine Chance mehr hat und losgelassen werden muss.

Rosa Petrovic Heilpraktikerin für Psychotherapie Audiotherapeutin (DSB) Zuffenhausen