Sich mit der eigenen Psyche zu beschäftigen, ist auf den ersten Blick etwas Gutes. Eine gute Selbstreflexion im Sinne von prüfendem und vergleichendem Nachdenken über sich selbst, das eigene Verhalten in Beziehung zu den Mitmenschen zu betrachten und dabei die eigene Lebensgeschichte einbeziehen, kann zu einer ausgewogeneren und auch milderen Sicht auf sich und die Umwelt beitragen. Unlösbar erscheinende Probleme können etwas von ihrem Schrecken verlieren, wenn bemerkt wird, dass auch andere Menschen ähnliche Probleme haben und/oder der eigene Anteil am Problem gar nicht so klein ist als anfangs gedacht. Das vermindert Selbstmitleid, fördert eigene Schritte hin zu Lösungen und kann professionelle Hilfe entbehrlich machen.
Doch Selbstreflexion ist anstrengend, erfordert viel Zeit, Kraft und Mut und manchmal reichen die eigenen Bemühungen nicht aus. Andererseits ist es sehr schwierig bis unmöglich, einen Therapieplatz in einer Praxis mit Kassenzulassung zu bekommen. Da ist es naheliegend, sich im Internet Unterstützung zu suchen – bei dem riesigen Angebot sollte doch für jedes Problem eine Lösung bereit stehen? Ist es wirklich so einfach, im Netz Hilfe zu finden? Neben seriösen Angeboten gibt es leider auch so manchen Psychonepp, der eher schadet als nutzt. Wie lassen sich nun seriöse von nicht seriösen Angeboten unterscheiden und wie die Qualität beurteilen?
Zunächst einmal die berufliche Qualifikation des Online-Angebots. Psychiater haben ein Studium der Medizin absolviert sowie die Facharzt-Ausbildung für Psychiatrie und meist zusätzlich eine Ausbildung in einem psychotherapeutischen Verfahren. Psychotherapeuten haben ein Studium der Medizin oder Psychologie absolviert und eine umfangreiche Psychotherapeuten-Ausbildung absolviert. Mittlerweile wird Psychotherapie von manchen Praxen oder Plattformen auch online angeboten und die Kosten werden bei vorhandener Kassenzulassung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Oft haben Praxen aber nur eine Homepage, um vorab zu informieren oder die Kontaktaufnahme zu erleichtern und so die Hemmschwelle, eine Psychotherapie zu beginnen, herabzusetzen.
Daneben dürfen Heilpraktiker*innen für Psychotherapie ebenfalls online oder in Präsenz Psychotherapie anbieten. Diese haben eine wesentlich kürzere Ausbildung an einer Heilpraktikerschule absolviert sowie eine Prüfung beim Gesundheitsamt abgelegt. Da es sich um eine kurze Ausbildung handelt, sollten zusätzliche Weiterbildungen vorhanden sein. Schwere psychische Erkrankungen sollten immer von Fachärzten für Psychiatrie (auch wegen Verschreibung von Medikamenten) oder von studierten Psychotherapeuten behandelt werden, da Heilpraktiker für Psychotherapie überfordert sein könnten. Außerdem könnte ein finanzielles Problem drohen, da die Behandlung langwierig sein kann und die Kosten nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden. Bei seriösen Anbietern sind Aus- und Weiterbildungen sowie die Kosten zu ersehen. Fehlen diese Angaben, ist besondere Vorsicht geboten.
Alle übrigen Personen dürfen keine Psychotherapie anbieten, egal ob online oder in Präsenz. Bei ihren Angeboten handelt es sich um Lebensberatung, Coaching, schamanische Heilung o.ä., z.T. auch kuriose oder zwielichtige Esoterik. Diese Anbieter sind in der Regel nicht ausgebildet oder haben eine Ausbildung im Coaching, soziale Arbeit, einem Pflegeberuf o.ä.. Auch hier können seriöse Anbieter dabei sein, manche haben beachtliche Erfolge durch viel Fleiß und viel Lebenserfahrung erworben. Besondere Vorsicht ist aber geboten bei hohen Kosten (wenn höher als der Stundensatz der gesetzlichen Krankenversicherung), wenn ein Heilungsversprechen gemacht wird, wenn einfache Lösungen innerhalb kürzester Zeit geboten werden, wenn Anbietende sich als „beste Freundin“ bzw. „bester Freund“ geben, sie ein starkes Sendungsbewusstsein an den Tag legen oder glauben, alleine durch selbst erlebtes und durchlittenes Leid automatisch anderen helfen zu können.
Für alle Angebote gilt, dass die vollständige Adresse und Telefonnummer im Impressum genannt sein muss. Nach erfolgter Kontaktaufnahme online oder telefonisch sollten auch Präsenztermine in der Praxis möglich sein, denn es kann sich herausstellen, dass Ihnen der Online-Kontakt doch nicht so liegt, Sie also den persönlichen Kontakt benötigen, um eine ausreichend tragfähige Beziehung aufbauen zu können. Bei manchen Erkrankungen wie z.B. Agoraphobie oder Depression kann es sogar hilfreich sein, in der Praxis persönlich erscheinen zu müssen, um zu lernen, Ihr Zuhause wieder zu verlassen. Achten Sie daher darauf, dass die Praxis in der Nähe Ihres Wohnortes ist.