„Wie Coronastress uns krank macht“

lautet der Artikel des Interviews mit dem Wirtschaftspsychologen Bertolt Meyer der Stuttgarter Zeitung vom 4.1.22. Zwar geht es dabei vordergründig um Arbeitsstress wegen Corona. Besonders bedeutsam finde ich aber, dass im Interview darüber aufgeklärt wird, dass Achtsamkeit, Resilienzschulung, Stressmanagement-Training, Yoga o.ä. nicht vor den negativen Folgen chronischer Überlastung am Arbeitsplatz schützt, sondern vielmehr der Arbeitgeber dafür sorgen muss, dass nicht viel zu viel Arbeit von viel zu wenigen Leuten geleistet werden muss.

Meiner Meinung nach wird leider noch viel zu oft bei hauptsächlich strukturellen Problemen lediglich der/die Arbeitnehmer*in in die Pflicht genommen. Gerne werden hierzu Führungskräfte zu Fortbildungen verpflichtet, in denen sie hauptsächlich lernen, wie sie ihre Mitarbeiter*innen am besten dazu bringen, für diese strukturellen Probleme (z.B. nicht besetzte Stellen, hohe Fluktuation, überdimensionierte Projekte, Streit zwischen Abteilungsleitern, unklare Aufgabenstellung…) die komplette Verantwortung zu übernehmen, etwa indem eine Beratung bei der Betriebspsychologin oder Besuch beim Betriebsarzt nahegelegt wird, gerne verbunden mit der mehr oder weniger versteckten Drohung, dass eine Ablehnung der angebotenen „Hilfe“Stellungen Konsequenzen haben wird. Da betriebsärztlicher und betriebspsychologische Dienst der Betriebsleitung unterstellt sind, haben diese meist keine echte Handlungskompetenz. Gerne empfehlen diese dann trotz Kenntnis der hauptsächlich strukturellen Probleme und sozusagen als Steigerung der Abschiebung von Verantwortung den betroffenen Mitarbeitenden lieber eine Psychotherapie, anstatt sich mit der Betriebsleitung anzulegen. Und manchmal ist eine hohe Fluktuation auch beim betriebspsychologischen Dienst gegeben…

Eine Psychotherapie kann bei bestimmten Fallkonstellationen auch mal der falsche Weg sein und sogar mehr schaden als nutzen. Ich habe mich daher über die kompetenten und gleichzeitig mutigen Aussagen des Interviews sehr gefreut.