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„Aufschieberitis“

Wer kennt das nicht: Pünktlich mit den besten Vorsätzen ins neue Jahr gestartet und spätestens nach drei Tagen schleicht sich wieder der Schlendrian ein. Die Wohnung immer noch nicht aufgeräumt, berufliche Termine nicht eingehalten, beim Studium immer noch nicht mit der Bachelorarbeit angefangen oder die Ausbildung fast fertig und das Berichtsheft ist immer noch leer. Ein bisschen Trödeln, eine gewisse Faulheit gehört zum normalen Leben dazu und kann sogar recht erholsam sein. 

Ein ernstes Problem besteht erst, wenn dieses Verhalten trotz ernsthaften beruflichen und persönlichen Konsequenzen beibehalten wird. Dann liegt der „Aufschieberitis“ bzw. Prokrastination, wie der medizinische Fachbegriff heißt, eine mangelhafte Fähigkeit der Selbststeuerung zugrunde. Besonders betroffen sind Menschen, die ihren Alltag weitgehend selbst und eigenverantwortlich gestalten können wie z.B. Studierende, Journalist*innen oder auch in Heimarbeit Tätige.

Aber warum kommen manche Menschen unter gleichen äußeren Bedingungen besser zurecht als andere? Dies liegt an unterschiedlicher Veranlagung und betrifft vor allem biochemische Faktoren im Gehirn, welche die Handlungskontrolle bestimmen, Situationen und deren Ausgang beurteilen und ggf. vor negativen Konsequenzen warnen. Daher können Betroffene ihr Verhalten nicht so einfach von heute auf morgen ändern, aber mit viel Ausdauer und geeigneten Strategien lässt sich oft eine deutliche Besserung erzielen.

Hier ein paar Tipps, was gegen „Aufschieberitis“ helfen kann:

  • Alltag strukturieren mit Hilfe eines Kalenders oder einer Aufgabenliste. Die Aufgaben nach Wichtigkeit kennzeichnen, um Prioritäten zu setzen.
  • Ein ablenkungsarmes Arbeitsumfeld schaffen: Handy weglegen oder zeitweise ausschalten. Für Mails und Nachrichten der sozialen Netzwerke bestimmte Zeiten reservieren. Sich morgens nicht vom Handy, sondern von einem separaten Wecker wecken lassen und das Handy vor dem Schlafengehen ausschalten.
  • Kleine, gut erreichbare Ziele setzen. Die Qualität so gut wie nötig, nicht so gut wie möglich!
  • Anfangen, auch wenn der Termin (scheinbar) noch weit weg ist. Was weg ist, ist weg.
  • Erfolge sollen und wollen gelobt und belohnt werden. Dafür nicht auf andere warten, sondern sich selbst loben und belohnen.
  • Manche Aufgaben benötigen Geduld. Größere Aufgaben in Teilaufgaben gliedern und jede Teilaufgabe würdigen.
  • Versagen als Lernprozess begreifen und daraus lernen, anstatt in Schuldgefühle zu versinken.

Oft können Betroffene mit diesen Tipps, konsequent längere Zeit angewandt, ihr Verhalten schon selbst deutlich verbessern. Darüber hinaus gibt es Beratungsangebote z.B. für Studierenden an den Universitäten. In schweren Fällen, wenn ein Alltagsleben nicht mehr möglich ist, sollten Betroffene psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.

Autogenes Training – Was ist das?

Das Autogene Training ist eine wissenschaftliche Methode der konzentrativen Selbstentspannung. Es wurde vom Psychiater und Psychotherapeut J.H. Schultz (1884 – 1970) aus den Erfahrungen der medizinischen Heilhypnose heraus begründet und seither immer wieder überprüft und weiterentwickelt.

Das Autogene Training besteht ausschließlich aus geistigen Übungen, wobei „Übung“ weniger als eine Art von sportlicher Leistung zu verstehen ist, sondern eher als ein Loslassen allerlei störender Gedanken, Gefühle und Empfindungen. Vielmehr geht es um eine Hinwendung „Konzentration“ zu ganz bestimmten Gedanken, welche bestimmte körperliche Reaktionen auslösen und zur Entspannung führen.

In der Unterstufe wird nach der Ruhetönung „Ich bin ganz ruhig“ mit sechs vorgegebenen Übungen gearbeitet, welche bei einem Körperteil beginnen und sich auf den gesamten Körper ausbreiten.

Die Oberstufe führt noch tiefer in die Versenkung und ist in der Intensität vergleichbar mit Hypnose. Sie ist rein individuell und als Innenschau ein Zugang zum Unbewussten, sowohl zu unseren unbewussten Konflikten als auch zu unseren unbewussten Fähigkeiten!

Die erste Übung der Unterstufe „Mein rechter (bzw. bei Linkshändern der linke) Arm ist schwer“ dient der Muskelentspannung und die zweite Übung „Mein rechter (bzw. linker) Arm ist warm“ der Gefäßentspannung. Es folgen noch vier weitere Übungen für das Herz, den Atem, den Bauch und die Stirn. 

Den sechs vorgegebenen Übungen kann eine weitere, ganz individuelle Übung angeschlossen werden, mit der die eigentliche Einstellung zum Leben und zu sich selbst wirksam beeinflusst werden kann wie z.B. „Ruhe und Gelassenheit in allen Lebenslagen“, „Ich vertraue mir“ „Ich achte auf mich“…

Zum Schluss wird zurückgenommen mit der Formel „Arme fest, tief atmen, Augen auf“, um aus dem verminderten Bewusstseinszustand herauszutreten und wieder voll und ganz da zu sein.

Es ist einige Geduld und Ausdauer notwendig, bis diese Übungen soweit und gut klappen, dass der gesamte Organismus in den Zustand der optimalen Muskelentspannung und Wärmeregulation kommt und in ausgewogener Harmonie arbeitet.

Ich empfehle daher das Üben in einer Kleingruppe unter professioneller Anleitung. Investieren Sie in Ihre Gesundheit und Wohlbefinden. Ihre Mühe lohnt sich langfristig!

„Wie Coronastress uns krank macht“

lautet der Artikel des Interviews mit dem Wirtschaftspsychologen Bertolt Meyer der Stuttgarter Zeitung vom 4.1.22. Zwar geht es dabei vordergründig um Arbeitsstress wegen Corona. Besonders bedeutsam finde ich aber, dass im Interview darüber aufgeklärt wird, dass Achtsamkeit, Resilienzschulung, Stressmanagement-Training, Yoga o.ä. nicht vor den negativen Folgen chronischer Überlastung am Arbeitsplatz schützt, sondern vielmehr der Arbeitgeber dafür sorgen muss, dass nicht viel zu viel Arbeit von viel zu wenigen Leuten geleistet werden muss.

Meiner Meinung nach wird leider noch viel zu oft bei hauptsächlich strukturellen Problemen lediglich der/die Arbeitnehmer*in in die Pflicht genommen. Gerne werden hierzu Führungskräfte zu Fortbildungen verpflichtet, in denen sie hauptsächlich lernen, wie sie ihre Mitarbeiter*innen am besten dazu bringen, für diese strukturellen Probleme (z.B. nicht besetzte Stellen, hohe Fluktuation, überdimensionierte Projekte, Streit zwischen Abteilungsleitern, unklare Aufgabenstellung…) die komplette Verantwortung zu übernehmen, etwa indem eine Beratung bei der Betriebspsychologin oder Besuch beim Betriebsarzt nahegelegt wird, gerne verbunden mit der mehr oder weniger versteckten Drohung, dass eine Ablehnung der angebotenen „Hilfe“Stellungen Konsequenzen haben wird. Da betriebsärztlicher und betriebspsychologische Dienst der Betriebsleitung unterstellt sind, haben diese meist keine echte Handlungskompetenz. Gerne empfehlen diese dann trotz Kenntnis der hauptsächlich strukturellen Probleme und sozusagen als Steigerung der Abschiebung von Verantwortung den betroffenen Mitarbeitenden lieber eine Psychotherapie, anstatt sich mit der Betriebsleitung anzulegen. Und manchmal ist eine hohe Fluktuation auch beim betriebspsychologischen Dienst gegeben…

Eine Psychotherapie kann bei bestimmten Fallkonstellationen auch mal der falsche Weg sein und sogar mehr schaden als nutzen. Ich habe mich daher über die kompetenten und gleichzeitig mutigen Aussagen des Interviews sehr gefreut.

Resilienz – Schutzschirm für die Seele

endlich einmal fiel mir ein Artikel über Resilienz in die Hände, welcher das beliebte, angesagte, aber auch reichlich überstrapazierte Thema Resilienz vom mythologischen Himmel der angeblich beliebig und grenzenlos formbaren Psyche auf die irdische Ebene holt. Sehr gut gefiel mir der geschilderte globale, breitgefächerte und langfristige Ansatz. Schließlich geht es um das Zusammenspiel von Anlagen, Umwelt und langjährigen Erfahrungen. Ein einzelner Vortrag, Kurs oder Workshop kann bestenfalls Anregungen geben und ein nützlicher Baustein hin zu mehr Widerstandskraft sein, diese aber keinesfalls vollumfänglich herstellen, so als ob einem nie (wieder) etwas anhaben könnte. Auch der Hinweis auf den Unterschied zwischen Resilienzförderung und Stressprävention ist sehr nützlich, da diese beiden Begriffe immer wieder durcheinanderpurzeln.

Besonders wertvoll fand ich, dass die Autorin auch auf das Stigma einging (welchem leider bestimmte Bevölkerungsgruppen immer noch und immer wieder ausgesetzt sind – der Artikel bezog sich auf hörgeschädigte und gehörlose Menschen) und klarstellt, dass die Auswirkungen von Stigmatisierung nicht vollständig durch eine gute Resilienz abgemildert werden können. Denn das hätten Betroffene ja gerne, eine Art „seelisches Rezept“, das sie so stärkt, dass ihnen auch noch die übelsten Herabwürdigungen, Ausgrenzungen und Beleidigungen nichts mehr anhaben können oder – wenn wir auf der beratenden und/oder therapeutischen Seite sind – wir unseren Klient*innen einfach nur die „Heile-heile-Segen-Pille“ verabreichen müssten und schon wäre alles gut. Aber die Autorin, die Psychologin Frau Johnson, tut uns diesen Gefallen nicht und das ist gut so. Den ausführlichen Artikel finden Sie in der Fachzeitschrift Spektrum Hören Nr. 6 November/Dezember 2021 ab Seite 48. Ich kann Ihnen diesen Artikel nur wärmstens empfehlen.

Bisexualität & Co. damals und heute in Medizin und Gesellschaft

Der Artikel „Wenn Liebe keine Grenzen kennt“ in der Stuttgarter Zeitung vom 13.11.2021 von Nina Ayerle veranlasste mich, über deren Stellenwert in Geschichte und Gesellschaft insbesondere aus medizinisch-diagnostischer Sicht nachzudenken.

Bemerkenswert ist, dass die im Artikel erwähnte Studie von Kinsey (es kann nicht generell als hetero- oder homosexuell eingeteilt werden, es gibt bei den allermeisten verschiedene Abstufungen), bereits seit 1948 vorliegt – wir uns aber im Jahre 2021 immer noch schwer tun, Menschen, deren sexuelle Identität nicht der Mehrheit entspricht, zu akzeptieren. Dabei suchen wir uns unsere sexuelle Neigung nicht aus, sondern sie entwickelt sich schon früh, ist Teil unserer Persönlichkeit und kann auch nicht umgepolt werden durch Strafen, Therapie o.ä.

Es ist kein Glanzstück unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, dass wir nach Veröffentlichung des Kinsey-Reports noch Jahrzehnte benötigten, um z.B. Homosexualität aus der strafrechtlichen Ecke herauszuholen. Auch im medizinisch/therapeutischen Bereich lief es nicht besser. Verschiedene Therapien zur Heilung von „sexuellen Perversionen“ (so war damals die Sprachregelung) wurden noch lange Zeit angewendet wie z.B. die Umstellung von Homosexualität durch ärztliche Hypnose (s. Buch „Seele ohne Angst“ von Dr. Heinrich Wallnöfer, Hoffmann und Campe Verlag von 1969, Seite 157 ff.) oder verhaltenstherapeutisch mit der sog. „Aversionstherapie“. Dass Bisexualität davon nicht erfasst war, dürfte wohl hauptsächlich daran liegen, dass Betroffene aufgrund der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation „freiwillig“ den „richtigen“, nämlich gegengeschlechtlichen Partner „wählten“.

Heute wissen wir, dass es eine große Einengung und schweres seelisches Leid bedeutet, seine sexuelle Neigung komplett unterdrücken und ein der eigenen Veranlagung gegenteiliges Leben führen und nach außen darstellen zu müssen. Trotz rechtlicher und medizinischer Rehabilitation ist die gesellschaftliche Anerkennung noch nicht überall erreicht und Betroffene befinden sich nach wie vor im Minderheitenstress. Den diesbezüglich im Artikel geschilderten Aussagen der Psychologin Cornelia Kost kann ich nur zustimmen: Auch heute stoßen viele Betroffene noch auf Widerstand, wenn sie sich outen. Es gibt kein Patentrezept und ist eine sehr individuelle Entscheidung, ob jemand sich outen möchte oder nicht. Es gibt keine Verpflichtung dazu und es müssen sowohl äußere Faktoren (konservatives Umfeld mit dem Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie, religiöse Normen…) als auch innere Faktoren (wieviel Widerstand, Verurteilung, Angriffe, Beschimpfungen kann ich ertragen?) bedacht werden.

Helfen bei der Entscheidungsfindung können Gespräche mit Mitbetroffenen, Selbsthilfegruppen oder eine fachlich qualifizierte Beratung, bei der auch gerne das Outing in einem Rollenspiel einfach mal ausprobiert werden kann.

Höranstrengung

Mein zum Thema „Höranstrengung“ verfasster Leserbrief wurde in der Fachzeitschrift für Menschen mit Hörbehinderung „Spektrum Hören“ Ausgabe Nr. 6 November/Dezember 2021 abgedruckt. Er bezog sich auf den sehr lesenswerten Artikel über das Thema Höranstrengung in der vorherigen Ausgabe Nr. 5 September/Oktober 2021. Einen Überblick über die Zeitschrift finden Sie unter www.spektrum-hoeren.de.

Hier der Text meines Leserbriefes:

Sehr geehrte Frau Facius,

vielen Dank für Ihren sehr lesenswerten Artikel über die Höranstrengung. Sowohl als selbst Betroffene als auch in meiner Arbeit kann ich bestätigen, dass sich Hörbeeinträchtigte schneller erschöpft fühlen als gut hörende Menschen. Auch der Hinweis von Frau Renee Iseli-Smits im daran anschließenden Artikel „Nebeneffekt Hörermüdung“, dass das eigene Leben umgestellt werden muss und die eigene Zeit möglichst „energiesparend“ geplant werden muss, halte ich für sehr wichtig. Schließlich kann auch die beste Technik die Beeinträchtigung nicht ganz beseitigen und können genug Pausen, angemessene Freizeitgestaltung, Aufklärung der Mitmenschen, angepasste Freizeitbeschäftigungen, eine andere Gestaltung des Arbeitsalltags bis hin zum Wechsel des Arbeitsplatzes oder gar des Berufes hilfreich und notwendig sein.

Darüber hinaus möchte ich folgendes ansprechen: Am Ende eines Tages wissen Betroffene oft nicht so recht, was genau sie so erschöpft sein lässt. Denn es gibt im Leben jede Menge andere Probleme: Konflikte, Kompetenzgerangel, Kampf um Posten und Karriere, verschiedene große und komplizierte Projekte, die am besten gleichzeitig und möglichst schon vorgestern erledigt sein sollen… dazu private Konflikte, Trennung, Scheidung, Tod von Angehörigen und Freunden, Erziehung der Kinder, pflegebedürftige Angehörige, Streitigkeiten im Verein… also haben Menschen mit Hörbeeinträchtigung all das, was gut hörende Menschen auch haben – aber mit fehlendem oder beeinträchtigten Hörsinn sind diese Schwierigkeiten schwerer zu stemmen. Dazu kommt, dass Hörbeeinträchtigte oft auch mehr oder weniger sprachlich beeinträchtigt sind und daher nicht so gut wie andere ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern können, es ihnen also oft nicht oder nicht gut gelingt, sich Gehör zu verschaffen.

All das sehe ich nicht nur als Defizit, sondern führt manchmal zu sehr kreativen Auswegen, Umwegen, Lösungsmöglichkeiten und ganz besonderen Fähigkeiten. Nur ist dies den Betroffenen oft nicht bewusst. Bei geringem Selbstwertgefühl werden eigene Leistungen oft nicht bemerkt, werden anderen Personen aus ihrem Umfeld zugeschrieben oder werden klein geredet. Da ist es gut, wenn Betroffene sich von Zeit zu Zeit eine Hörpause gönnen, zurückschauen und sich selbst auf die Schulter klopfen für das, was sie bereits geschafft haben. Und nicht vergessen: zu überlegen, wer sie gut unterstützt hat, wem sie dafür danken möchten und wer noch in die Pflicht genommen werden muss und welche Beziehung keine Chance mehr hat und losgelassen werden muss.

Rosa Petrovic Heilpraktikerin für Psychotherapie Audiotherapeutin (DSB) Zuffenhausen

Internetsucht

Internetsucht gehört zu den nicht substanzgebundenen Süchten wie auch die Spielsucht an Automaten und in Wettbüros. Anders als bei substanzgebundenen Süchten wie z.B. Alkoholsucht kann keine Abstinenz vom Suchtmittel angestrebt werden, denn das Internet ist im Alltag nicht mehr wegzudenken. Wie aber dann die verloren gegangene Kontrolle wieder zurückgewinnen? Im Artikel „Zocken gegen die Einsamkeit“ der Stuttgarter Zeitung vom 26.06.2021 wird ein Ampelsystem (Rot, Gelb, Grün) in der Therapie als ein einfaches, sich leicht zu merkendes und gerade deshalb wirksames Werkzeug empfohlen, um die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen. Rot sind etwa Videospiele, Gelb sind Social Media-Aktivitäten und grün die Internet-Recherche zu einem bestimmten Thema für Schule, Studium und Beruf. Gleichwohl ist das Rauskommen aus der Internetsucht nicht einfach. Der im Artikel geschilderte Patient erlitt trotz mehrerer Therapien einen Rückfall. Das Phänomen häufiger Rückfälle ist mir von den substanzgebundenen Süchten wie z.B. der Alkoholsucht her bekannt und sollte nicht vorschnell als gescheiterte Therapie abgetan werden, sondern eher als Aufforderung, das bisher Gelernte in einer erneuten Therapie zu wiederholen und zu vertiefen. Für Betroffene und Angehörige ist wichtig zu wissen, dass oft mehrere Anläufe nötig sind und sie die Hoffnung nie aufgeben sollen. Die Therapie kann durch den regelmäßigen Besuch einer Selbsthilfegruppe ergänzt werden, und falls es (noch) keine in der Nähe gibt, kann selbst eine gegründet werden. Gerade dies zeugt von Eigeninitiative und Kontaktwünschen und das sind gute Voraussetzungen für eine positive Zukunft. Eventuell könnte noch angeschaut werden, wie als Kind die familiären Beziehungen und das soziale Umfeld waren und ob evtl. noch Trauerarbeit wegen nicht oder nicht ausreichend gestillten Bedürfnissen geleistet werden muss (da bin ich etwas altmodisch unterwegs). Verstehen, vergeben (anderen und/oder sich selbst!) und wo immer möglich Versöhnung sind für mich wichtige Aspekte. Das hat viel mit Loslassen zu tun, dann darf auch die Sucht gehen.

Hypnose – Heilung durch die Kraft der Worte

Der sehr lesenswerte Artikel „Die Kraft der Worte“ (Interview von Annette Lübbers mit der Narkoseärztin Dr. Nina Zech, veröffentlicht in der Zeitschrift „Spektrum Hören“ März/April 2021 als Nachdruck aus der Zeitschrift „Natur & Heilen 10/2018 ) veranlasste mich zu überlegen, was die Hypnose im ambulanten Bereich speziell für Hörbehinderte bieten könnte. Ich bin dabei auf folgende Anwendungsbereiche gekommen:

1. Hörstress

Schwerhörige und CI-versorgte Ertaubte (CI = Cochlear- bzw. Innenohr-Implantat) befinden sich in beruflich und privat meistens in Gesellschaft von gut Hörenden. Da Hörgeräte und CI’s sowie Zusatztechnik das Hören nicht komplett (wieder) herstellen können, haben sie einen erhöhten Aufwand bei der Kommunikation. Manchmal sind sie so erschöpft, dass sie sich selbst nicht mehr entspannen können. Dann kann die Hypnose zur Tiefenentspannung eingesetzt werden. Wenn das erfolgreich ist, kann die behandelte Person anschließend entweder ein bereits erlerntes Entspannungsverfahren wieder anwenden oder ein Entspannungsverfahren neu erlernen. Ich persönlich lehre und praktiziere das Autogene Training (AT). Das AT ist eine Art Selbsthypnose, wurde von Prof.Dr. J.H. Schultz aus der Hypnose heraus entwickelt und wird ohne Zuhilfenahme einer weiteren Person selbst angewendet.

2. Konfliktbewältigung

Die Hörbehinderung erschwert die situative Orientierung. Daher wissen sie oft nicht, warum sie in einen Konflikt geraten sind, übersehen nicht die gesamte Tragweite des Konflikts und finden nicht mehr heraus. Liegt es hauptsächlich an akustischen Missverständnissen? Oder ist die Stimmung im Betrieb allgemein gereizt wegen einem Gesamtproblem wie z.B. aus dem Ruder laufende Projekte oder einem drohenden Konkurs? Liegt ein Fall von Mobbing und/oder Bossing vor? Oder ist gar der Hörbehinderte Täter oder Mittäter und merkt das nicht? Hier kann versucht werden, durch die Frage an das Unbewusste eine Klärung herbeizuführen. Dazu sollte nur eine leichte Hypnose angewandt werden, um die Klienten nicht zu überfordern, und es müssen außerhalb der Hypnose Gespräche zum Durcharbeiten des herausgeholten Materials erfolgen.

3. Erschließung und Stärkung von Ressoucen

Oft haben Hörbehinderte ein geringes Selbstwertgefühl, da von ihnen erwartet wird (und vielleicht erwarten sie das auch von sich selbst), dass sie genau so sind und sich benehmen wie gut Hörende. Aber das ist auf die Dauer unmöglich und die Betroffenen erleben sich als rein defizitär. Eine große Rolle spielt auch, wie sie aufgewachsen sind und wie in ihrem familiären Umfeld mit Behinderungen umgegangen wurde und wird. Aber vielleicht können sie etwas anderes überdurchschnittlich gut wie z.B. die Mimik, Gestik und Körperhaltung der Mitmenschen besonders gut interpretieren, besonders zuverlässig und loyal sein, hilfsbereit sein, die coronabedingten Einschränkungen besser ertragen … und es ist ihnen nur nicht oder nicht ausreichend bewusst. Hier kann eine Bewusstmachung ihrer Fähigkeiten das Selbstwertgefühl stärken. Manchmal verbessern sich dadurch auch die Beziehungen zu den Mitmenschen.

4. Bei Gehörlosen bzw. Gebärdensprachbenutzern kann die Hypnose nicht im üblichen Sinne durch lautsprachliches Reden eingeleitet werden. Hier kann versucht werden, dies durch beruhigende Gebärden zu erreichen. Zum Klären und Bearbeiten des herausgeholten Materials wird ein Dolmetscher benötigt, wenn die behandelnde Person nicht oder nicht ausreichend gebärdensprachkompetent ist.

Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass vor Beginn einer Hypnosebehandlung ärztlich abgeklärt sein sollte, ob die Hypnose angewendet werden darf (es gibt Ausschlusskriterien) und ob deren Anwendung im konkreten Fall sinnvoll ist (nicht jeder Mensch ist hypnotisierbar und nicht jedes Problem kann durch Hypnose gelöst werden). Ansonsten ist die Hypnose ein wunderbarer Baustein auf dem Weg zur Heilung und Weiterentwicklung.

Was Hypnose nicht ist: Eine Art Zauberformel, mit der Sie auf einen Schlag alle Probleme los werden. Wenn Sie das erwarten, sind Sie bei mir falsch.

Hypnose bietet lediglich – sofern Sie offen und empfänglich dafür sind – einen besseren Zugang zu unbewussten Prozessen. Wie andere psychotherapeutisches Verfahren auch, braucht Hypnose Zeit zum Wirken und sie muss einige Male wiederholt werden, um eine nachhaltige Wirkung erzielen zu können. Und selbstverständlich will und muss das aus dem Unbewussten hervorgeholte Material bearbeitet werden! Das heißt, wenn die Hypnose gelingt, fängt die psychotherapeutische Arbeit erst so richtig an und das ist ein anstrengender, aber auch spannender Weg hin zu mehr Selbstbestimmung und Gestaltung Ihres Lebensweges. Ich würde mich freuen, Sie ein Stück auf Ihrem Weg begleiten zu dürfen.

Gebärdensprache

In der sehr lesenswerten Reportage „Wenn Eltern nicht hören“ von Akiko Lachenmann in der Stuttgarter Zeitung vom 31.03.2021 wird die Situation von hörenden Kindern von gehörlosen Eltern ausführlich geschildert. Insbesondere wird berichtet, dass es bei den Kindern zu ständiger Überforderung und psychischen Problemen sowie Brüchen innerhalb der Familie führen kann, wenn Kinder immer wieder für ihre Eltern dolmetschen müssen, etwa beim Arztbesuch oder in der Schule. Weiter wird berichtet, dass der Druck auf die Kinder seit dem Jahr 2002 nachgelassen hat, als die Gebärdensprache als vollwertige Sprache anerkannt wurde und seither ein gesetzlicher Anspruch auf Gebärdendolmetscher bei Ärzten, Behörden, Polizei und Gericht, aber auch am Arbeitsplatz besteht.

Allerdings sind damit längst nicht alle Lebenssituationen abgedeckt und es gibt auch zu wenig Dolmetscher. Es erfordert viel Mut und Kraft, als Gehörlose sich den verschiedenen Lebenssituationen zu stellen. Die in der Reportage geschilderten gehörlosen Eltern gehen aktiv mit ihrer Hörbehinderung um, in dem sie z.B. in der neuen Schule der Kinder Zettel verteilen mit der Aufschrift „Hallo! Wir sind gehörlos. Wenn Sie uns etwas mitteilen wollen, bitte scheuen Sie sich nicht, sich trotzdem direkt an uns zu wenden“. Außerdem besuchen sie die Theater- und Musikaufführungen an der Schule ihrer Kinder, auch wenn sie nicht soviel mitbekommen.

Ergänzend zur Reportage möchte ich mitteilen, dass die Deutsche Gebärdensprache (DGS) eine vollständige Sprache mit eigener Grammatik ist und nicht immer 1:1 in die Laut- bzw. Schriftsprache übersetzt werden kann. Daneben gibt es die lautsprachbegleitenden bzw. lautsprachunterstützenden Gebärden. Diese enthält Gebärden aus der DGS, wird aber, wie es der Name schon sagt, nur zur Begleitung und Unterstützung der Lautsprache verwendet und wird von manchen Spätertaubten und Schwerhörigen, die gut sprechen gelernt haben, mehr oder weniger benutzt.

Ich persönlich trete dafür ein, dass sich Schwerhörige und Spätertaubte nicht allein auf ihre Technik (Hörgeräte, Cochlea-Implantate) verlassen, sondern je nach Möglichkeit auch Gebärden lernen, um ihre Kommunikation zu unterstützen und lebendig zu gestalten.

Erstens, weil die Technik sowieso nur ein eingeschränktes Hören/Verstehen ermöglicht, zweitens ist das eine Frage der Identität (erlebe ich mich als defizitär oder kann ich etwas Besonderes?) und drittens kann damit die Solidarität mit den Gehörlesen ausgedrückt werden.

Ferner ist es gut, wenn hörende Mitmenschen, etwa Kollegen, Freunde Verwandte, verständnisvoll und aufgeschlossen sind – und auch einige Gebärden können. Die Stuttgarter Zeitung hat mit ihrer Reportage von Akiko Lachenmann einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung geleistet. Außerdem hat es mich sehr gefreut, dass mein Leserbrief zum Thema am 03.04.2021 veröffentlicht wurde.

Trauer – ist das normal oder bin ich schon depressiv?

Gerade jetzt, weil die Pandemie schon über ein Jahr dauert, wir schon das zweite Osterfest erleben, an dem wir unseren früher gewohnten Familienbesuchen, Festen und Unternehmungen nicht oder nur sehr eingeschränkt nachgehen können, kippt die Stimmung. Vielleicht fragen Sie sich, ob das noch normal ist?

Wir Menschen als „Herdentiere“ erleben die Kontakt-Beschränkungen als schmerzlichen Verlust. Dazu kommen vielleicht finanzielle Sorgen, Kurzarbeit, der Verlust des Arbeitsplatzes oder gar der Verlust eines Menschen. Wir sind traurig, wütend, unsicher und gereizt. Diese Gefühle und Empfindungen wollen und sollen angemessen ausgedrückt werden! Das ist gesund und völlig in Ordnung.

Wenn aber die Fähigkeit zur Freude an sich verloren gegangen ist, die Stimmung durchgehend gedrückt ist auch bei Tätigkeiten, die früher gerne ausgeübt wurden, wenn der Antrieb vermindert ist, wenn schon kleine Anstrengungen ermüden, wenn Konzentration und Aufmerksamkeit nachgelassen haben, Schlafstörungen auftreten, wenn Schuld- und Wertlosigkeitsgefühle, Hoffnungslosigkeit auftreten, ein quälendes Gefühl der Gefühllosigkeit auftritt, vielleicht weitere Symptome wie Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust dazu kommen, muss das unbedingt ernst genommen werden. Dauern diese Symptome unvermindert mindestens zwei Wochen an, ist professionelle Hilfe angezeigt.

Erster Ansprechpartner ist in der Regel die hausärztliche Praxis. Denn es muss zunächst abgeklärt werden, ob es körperliche Ursachen für die Beschwerden gibt. Erst wenn diese ausgeschlossen sind, wird ärztlicherseits die Diagnose einer Depression gestellt. Je nachdem, ob eine leichte, mittlere oder schwere Depression vorliegt, wird entweder nur eine Psychotherapie verordnet bzw. empfohlen oder zusätzlich Psychopharmaka verordnet. Einer leichten Depression liegen oft nicht bewältigte Konflikte zugrunde, welche in einer Psychotherapie bearbeitet werden müssen. Neben aktuellen Konflikten können das ganz alte Geschichten sein, welche bisher erfolgreich abgewehrt werden konnten und nun in der aktuellen Situation, wo viele Ablenkungen weggefallen sind, immer drängender zutage treten. Daher ist hier die alleinige Psychotherapie meistens die beste Wahl.

Bei schweren Depressionen und teilweise bei mittelschweren Depressionen ist das anders. Hier ist meistens der Hirnstoffwechsel so durcheinander, dass ärztlicherseits Psychopharmaka verordnet werden müssen. Eine Psychotherapie ist dann nicht ausreichend bzw. kann erst begonnen werden, wenn sich der Zustand etwas gebessert hat. Zu beachten ist dabei, dass die Medikamente auch während einer Psychotherapie entsprechend der ärztlichen Verordnung weiter eingenommen werden müssen und die Medikation ohne ärztliche Rücksprache nicht geändert oder abgesetzt werden darf, auch wenn sich die behandelte Person besser fühlt – ansonsten droht ein Rückfall.

Manchmal gibt es Probleme bei der Behandlung und es ist nicht klar, ob das angewendete Psychotherapieverfahren ungeeignet ist oder die behandelnde Person nicht erfahren genug ist, ob das ärztlich verordnete Medikament nicht anschlägt oder ob die Gesamtumstände so schwierig sind, dass mehr Zeit benötigt wird. Dann kann ein Austausch zwischen den verschiedenen behandelnden Personen sinnvoll sein und zur Klärung beitragen. Ein solcher Austausch darf aber nur erfolgen, wenn diese hierfür durch den Patienten von ihrer Schweigepflicht entbunden wurden.

Insgesamt ist eine Depression eine schwere, aber dennoch gut behandelbare Krankheit. Manchmal verläuft sie in mehreren Phasen und es sind dementsprechend mehrere Behandlungen notwendig. Wenn also eine Depression wiederkommt, muss das nicht bedeuten, dass die vorherige Behandlung nicht angeschlagen hat, sondern liegt eher in der Natur der Krankheit. Die Behandlung sollte dann erneut aufgenommen werden.