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Trauer: normale / traumatische Trauer

Trauer ist der seelische Schmerz über einen Verlust. Sie verläuft in verschiedenen Phasen von Schockphase, akzeptieren des Verlusts, verarbeiten des Schmerzes, sich anpassen an eine Welt ohne die verstorbene Person und Aufbruch in ein neues Leben, in dem eine innerliche dauerhafte Verbindung zur verstorbenen Person ihren Platz haben darf. Während der Trauer treten z.T. heftige, quälende Gefühle der Betäubung, gedrückte Stimmung, Stimmungsschwankungen, Angst, Ärger, Wut und Verzweiflung auf. Das Verhalten ist anders als sonst und kann von Überaktivität oder Rückzug geprägt sein. All dies ist völlig normal und bedarf keiner Behandlung.

Anders bei der traumatischen Trauer. Hier ist der natürliche Trauerprozess blockiert. Er kommt entweder erst gar nicht in Gang oder bleibt mittendrin stecken und findet auch nach Jahren noch kein Ende. Trauma bedeutet seelische Verletzung, die von einem Ausnahmezustand, ausgelöst durch überwältigende Ereignisse, herrührt. Das kann der Fall sein bei Unfällen, grausame Gewalt, Mord, Krieg, Suizid. Schwierig ist auch, wenn es keinen bewussten Abschied gab oder wenn Hinterbliebene sich stark mit der verstorbenen Person identifiziert hatte (bei symbiotischer Beziehung stirbt ein Teil des eigenen Selbst mit). Hier gelingt es manchmal auch nach längerer Zeit nicht, den Tod zu akzeptieren und die anfänglich normale, akute Belastungsreaktion chronifiziert sich, es kommt zu einer anhaltenden Trauerstörung mit ungewöhnlich langer Beschäftigung mit dem Tod und so starkem emotionalem Schmerz, dass die überlebende Person in wichtigen Lebensbereichen beeinträchtigt ist. Die Betroffenen leiden unter Symptomen der PTBS (Posttraumatisches Belastungssyndrom) mit Flashbacks bzw. unwillkürlichem Wiedererleben, Alpträume, Vermeidungsverhalten, Schlafstörungen, übermäßige Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit, Schuldgefühle.

Anhaltende Trauerstörung bedeutet nicht, dass sie ein lebenslanges Schicksal sein muss. Vielmehr gibt es eine Reihe von gut wirksamen Behandlungsmöglichkeiten. Das therapeutische Gespräch wird ressourcen-orientiert geführt. Das bedeutet, dass der Fokus auf den Ressourcen und den Bewältigungsstrategien liegen und der traumatische Verlust keinen großen Raum einnimmt. Dadurch wird Gefahr von Flashbacks und einer Retraumatisierung minimiert und der Weg zur Bewältigung des Ereignisses gebahnt. Es wird großen Wert auf Stabilisierung gelegt und sie ist Voraussetzung, um den traumatischen Verlust bearbeiten zu können. Zur Stabilisierung stehen jede Menge Werkzeuge zur Verfügung:

  • Psychoedukation: Aufklärung, was im Gehirn passiert „Notfallmodus“
  • Imaginationsübungen: z.B. Wohlfühlort
  • Timeline (Zeitlinie): Stärken, Fähigkeiten, die in der Vergangenheit geholfen haben und die wieder aktiviert werden können
  • Dissoziationsstops: Reorientierung in Raum und Zeit wenn „weggedriftet“
  • Körperarbeit: z.B. Tapping, Klopfen langsam zum Ressourcen zu verankern und immer beidseitig, um beide Gehirnhälften zu aktivieren
  • Atemübungen, Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training
  • Ressourcenkreis: benennen, auf Karte schreiben und draufstehen, dann sich einfühlen
  • Umgang mit Schuldgefühlen: unterscheiden tatsächliche / gefühlte Schuld

So kann allmählich Ruhe einkehren, der Verlust in das Leben integriert werden, das Leben wieder in die Hand genommen werden.

Hilfe im Internet?

Sich mit der eigenen Psyche zu beschäftigen, ist auf den ersten Blick etwas Gutes. Eine gute Selbstreflexion im Sinne von prüfendem und vergleichendem Nachdenken über sich selbst, das eigene Verhalten in Beziehung zu den Mitmenschen zu betrachten und dabei die eigene Lebensgeschichte einbeziehen, kann zu einer ausgewogeneren und auch milderen Sicht auf sich und die Umwelt beitragen. Unlösbar erscheinende Probleme können etwas von ihrem Schrecken verlieren, wenn bemerkt wird, dass auch andere Menschen ähnliche Probleme haben und/oder der eigene Anteil am Problem gar nicht so klein ist als anfangs gedacht. Das vermindert Selbstmitleid, fördert eigene Schritte hin zu Lösungen und kann professionelle Hilfe entbehrlich machen.

Doch Selbstreflexion ist anstrengend, erfordert viel Zeit, Kraft und Mut und manchmal reichen die eigenen Bemühungen nicht aus. Andererseits ist es sehr schwierig bis unmöglich, einen Therapieplatz in einer Praxis mit Kassenzulassung zu bekommen. Da ist es naheliegend, sich im Internet Unterstützung zu suchen – bei dem riesigen Angebot sollte doch für jedes Problem eine Lösung bereit stehen? Ist es wirklich so einfach, im Netz Hilfe zu finden? Neben seriösen Angeboten gibt es leider auch so manchen Psychonepp, der eher schadet als nutzt. Wie lassen sich nun seriöse von nicht seriösen Angeboten unterscheiden und wie die Qualität beurteilen?

Zunächst einmal die berufliche Qualifikation des Online-Angebots. Psychiater haben ein Studium der Medizin absolviert sowie die Facharzt-Ausbildung für Psychiatrie und meist zusätzlich eine Ausbildung in einem psychotherapeutischen Verfahren. Psychotherapeuten haben ein Studium der Medizin oder Psychologie absolviert und eine umfangreiche Psychotherapeuten-Ausbildung absolviert. Mittlerweile wird Psychotherapie von manchen Praxen oder Plattformen auch online angeboten und die Kosten werden bei vorhandener Kassenzulassung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Oft haben Praxen aber nur eine Homepage, um vorab zu informieren oder die Kontaktaufnahme zu erleichtern und so die Hemmschwelle, eine Psychotherapie zu beginnen, herabzusetzen.

Daneben dürfen Heilpraktiker*innen für Psychotherapie ebenfalls online oder in Präsenz Psychotherapie anbieten. Diese haben eine wesentlich kürzere Ausbildung an einer Heilpraktikerschule absolviert sowie eine Prüfung beim Gesundheitsamt abgelegt. Da es sich um eine kurze Ausbildung handelt, sollten zusätzliche Weiterbildungen vorhanden sein. Schwere psychische Erkrankungen sollten immer von Fachärzten für Psychiatrie (auch wegen Verschreibung von Medikamenten) oder von studierten Psychotherapeuten behandelt werden, da Heilpraktiker für Psychotherapie überfordert sein könnten. Außerdem könnte ein finanzielles Problem drohen, da die Behandlung langwierig sein kann und die Kosten nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden. Bei seriösen Anbietern sind Aus- und Weiterbildungen sowie die Kosten zu ersehen. Fehlen diese Angaben, ist besondere Vorsicht geboten.

Alle übrigen Personen dürfen keine Psychotherapie anbieten, egal ob online oder in Präsenz. Bei ihren Angeboten handelt es sich um Lebensberatung, Coaching, schamanische Heilung o.ä., z.T. auch kuriose oder zwielichtige Esoterik. Diese Anbieter sind in der Regel nicht ausgebildet oder haben eine Ausbildung im Coaching, soziale Arbeit, einem Pflegeberuf o.ä.. Auch hier können seriöse Anbieter dabei sein, manche haben beachtliche Erfolge durch viel Fleiß und viel Lebenserfahrung erworben. Besondere Vorsicht ist aber geboten bei hohen Kosten (wenn höher als der Stundensatz der gesetzlichen Krankenversicherung), wenn ein Heilungsversprechen gemacht wird, wenn einfache Lösungen innerhalb kürzester Zeit geboten werden, wenn Anbietende sich als „beste Freundin“ bzw. „bester Freund“ geben, sie ein starkes Sendungsbewusstsein an den Tag legen oder glauben, alleine durch selbst erlebtes und durchlittenes Leid automatisch anderen helfen zu können.

Für alle Angebote gilt, dass die vollständige Adresse und Telefonnummer im Impressum genannt sein muss. Nach erfolgter Kontaktaufnahme online oder telefonisch sollten auch Präsenztermine in der Praxis möglich sein, denn es kann sich herausstellen, dass Ihnen der Online-Kontakt doch nicht so liegt, Sie also den persönlichen Kontakt benötigen, um eine ausreichend tragfähige Beziehung aufbauen zu können. Bei manchen Erkrankungen wie z.B. Agoraphobie oder Depression kann es sogar hilfreich sein, in der Praxis persönlich erscheinen zu müssen, um zu lernen, Ihr Zuhause wieder zu verlassen. Achten Sie daher darauf, dass die Praxis in der Nähe Ihres Wohnortes ist.

Kinderkram

In einem denkwürdiges Gespräch im privaten Kreise erzählte mir eine ältere Person von einem Erlebnis im Kindergarten, welches sie damals sehr geängstigt hatte. Dies erinnerte auch mich an ein Erlebnis, welches mich nicht nur geängstigt, sondern auch sehr beschämt hatte. 

Ich erläuterte meinem Gegenüber, dass die damaligen, durchaus üblichen Vorgehensweisen, um Kinder zu bestrafen, zu disziplinieren oder einfach ruhig zu stellen, aus heutiger Sicht zur „schwarzen Pädagogik“ gehörten und heute nicht mehr üblich seien. Bei damals üblichen fast vierzig Kinder in einer Gruppe mit zwei Betreuungspersonen sei eine gute Betreuung gar nicht möglich gewesen. Um ihren Berufsalltag dennoch irgendwie zu bewältigen, hätten diese zu den genannten Methoden der schwarzen Pädagogik gegriffen.

Vielleicht erinnern Sie sich ebenfalls an einen damals sehr belastenden „Kinderkram“ und denken vielleicht: „Das ist doch schon so lange her“ – und schieben übermäßigen Selbstzweifel, Schuldgefühle, Lern- und Arbeitsstörungen, Beziehungsprobleme, andere seelische Probleme beiseite oder weisen sie einer einzigen Ursache, z.B. Vererbung oder unpassender Erziehungsstil der Eltern, zu. Meist haben wir jedoch eine Verbindung von körperlichen, psychologischen und sozialen Ursachen, die uns leidend machen (biopsychosoziales Modell).

Wenn Sie eine gute Fähigkeit zur Selbstanalyse bzw. Selbstreflexion haben und sich immer mal wieder ein wenig Zeit nehmen bzw. sich die Zeit auch gönnen, sehen Sie allmählich klarer und können die einzelnen Gefühle und Empfindungen den jeweiligen Ereignissen zuordnen und angemessen bewerten. Am wichtigsten ist die zeitliche Zuordnung: Was vergangen ist, soll im Gehirn als vergangen abgespeichert und erinnert werden. Dies verhindert ein unangemessenes Ausagieren im Hier und Jetzt aus nichtigem oder geringem Anlass und es bleibt mehr Kraft für die Lösung heutiger Probleme. Bei Bedarf kann professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.

Über das Thema „Kinderkram“ habe ich auch im Blättle des Schwerhörigenvereins Stuttgart einen Artikel veröffentlicht. Dort interessiert natürlich besonders die Auswirkung der Hörschädigung.  Man könnte ja versucht sein zu sagen, es gäbe keine, denn alle Kinder waren mehr oder weniger von der damals üblichen „schwarzen Pädagogik“ betroffen. Dennoch gibt es Unterschiede im Erleben:

Bei Bestrafungsaktionen wusste das gut hörende Kind meistens, wofür es bestraft wurde und konnte sein Verhalten eher darauf einstellen, während das hörgeschädigte Kind oft keinen Zusammenhang zwischen eigenem Verhalten und Strafe herstellen konnte. Es erlebte die Strafe eher schicksalhaft wie eine Strafe für das, was es ist (als Person), als für ein bestimmtes, unerlaubtes Verhalten. Außerdem war der Anpassungsdruck riesig und nicht wirklich zu leisten. Entweder wurde das Kind ganz still und daher „vergessen“ oder es lehnte sich auf und wurde besonders „unartig“, was weitere Bestrafungen nach sich zog. Dennoch haben viele der älteren Vereinsmitglieder ihren Weg gemacht, einen Schul- und Berufsabschluss, Familie gegründet… Manche engagieren sich ehrenamtlich im Verein. Das verdient Verständnis für ein paar verbliebene Macken und großes Lob für das Erreichte!

Mit viel Geduld, Hartnäckigkeit und Neugierde auf das eigene Erleben und Verhalten im Zusammenhang von Umwelt und Lebensgeschichte lässt sich auch bei eher ungünstigen Voraussetzungen so einiges erreichen und verbessern. Ich ermutige Sie frei nach Immanuel Kant mit einer kleinen Ergänzung von mir: Haben Sie den Mut, sich Ihres eigenen Verstandes – und Ihrer eigenen Psyche – zu bedienen!

Narzissmus

„Mein Ex ist ein Narzisst“, „Ich lebte in einer toxischen Beziehung“. Diese Formulierungen werden oft im Zusammenhang von gescheiterten oder ungesunden Beziehungen verwendet. Dabei wird der Begriff „Narzissmus“ häufig auch schon bei leicht gehobenem Selbstwertgefühl verwendet – und dies verharmlost das Krankheitsbild der echten narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Doch was ist überhaupt eine Narzisstische Persönlichkeitsstörung?

Nach den amerikanischen Kriterien DSM-5-TR müssen mindestens fünf der folgenden Merkmale erfüllt sein:

  • ein übertriebenes, unbegründetes Gefühl der eigenen Bedeutung und Talente (Grandiosität)
  • Die Beschäftigung mit Phantasien von unbegrenzten Erfolgen, Einfluss, Macht, Intelligenz, Schönheit oder der vollkommenen Liebe
  • Der Glaube speziell und einzigartig zu sein und sich daher nur mit Menschen auf höchstem Niveau verbinden wollen
  • Der Wunsch, bedingungslos bewundert zu werden
  • Ein Gefühl des Anspruchs
  • ausnutzen anderer, um eigene Ziele zu erreichen
  • Mangel an Empathie
  • Neid auf andere und der Glaube, von anderen beneidet zu werden
  • Überheblichkeit und Hoffart

In der ICD-10 (der internationalen Klassifikation) wird die Narzisstische Persönlichkeitsstörung unter F60.8 „Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen“ codiert.

Die Symptome müssen in der Kindheit/Jugend begonnen haben, zeigen sich im Erwachsenenalter und sind andauernd und tief verwurzelt. Betroffene Personen leiden darunter und ihre berufliche und soziale Funktionsfähigkeit ist gefährdet.

Die Diagnose ist eine Ausschlussdiagnose, d.h. organische Ursachen und andere psychische Störungen müssen ausgeschlossen sein, um eine Narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostizieren zu können. Sie ist schwierig und deren Behandlung ist noch schwieriger und zeitaufwendig. Als Psychotherapie kommen psychodynamische Verfahren wie z.B. Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Therapie, die Mentalisierung-basierte Therapie (reflektieren und regulieren von Emotionen sollen gelernt werden) Übertragung-fokussierte Psychotherapie (arbeiten mit der aktuellen Beziehung zwischen Therapeut*in und Patient*in) in Frage. Helfen kann auch eine kognitive Verhaltenstherapie zur Verbesserung der Beherrschung.

Da die Störung in der Kindheit und Jugend begonnen hat und tief in der Persönlichkeit wurzelt, ist unabhängig vom gewählten Verfahren viel Zeit, Geduld und Durchhaltevermögen notwendig, um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen.

04.08.2024

„Aufschieberitis“

Wer kennt das nicht: Pünktlich mit den besten Vorsätzen ins neue Jahr gestartet und spätestens nach drei Tagen schleicht sich wieder der Schlendrian ein. Die Wohnung immer noch nicht aufgeräumt, berufliche Termine nicht eingehalten, beim Studium immer noch nicht mit der Bachelorarbeit angefangen oder die Ausbildung fast fertig und das Berichtsheft ist immer noch leer. Ein bisschen Trödeln, eine gewisse Faulheit gehört zum normalen Leben dazu und kann sogar recht erholsam sein. 

Ein ernstes Problem besteht erst, wenn dieses Verhalten trotz ernsthaften beruflichen und persönlichen Konsequenzen beibehalten wird. Dann liegt der „Aufschieberitis“ bzw. Prokrastination, wie der medizinische Fachbegriff heißt, eine mangelhafte Fähigkeit der Selbststeuerung zugrunde. Besonders betroffen sind Menschen, die ihren Alltag weitgehend selbst und eigenverantwortlich gestalten können wie z.B. Studierende, Journalist*innen oder auch in Heimarbeit Tätige.

Aber warum kommen manche Menschen unter gleichen äußeren Bedingungen besser zurecht als andere? Dies liegt an unterschiedlicher Veranlagung und betrifft vor allem biochemische Faktoren im Gehirn, welche die Handlungskontrolle bestimmen, Situationen und deren Ausgang beurteilen und ggf. vor negativen Konsequenzen warnen. Daher können Betroffene ihr Verhalten nicht so einfach von heute auf morgen ändern, aber mit viel Ausdauer und geeigneten Strategien lässt sich oft eine deutliche Besserung erzielen.

Hier ein paar Tipps, was gegen „Aufschieberitis“ helfen kann:

  • Alltag strukturieren mit Hilfe eines Kalenders oder einer Aufgabenliste. Die Aufgaben nach Wichtigkeit kennzeichnen, um Prioritäten zu setzen.
  • Ein ablenkungsarmes Arbeitsumfeld schaffen: Handy weglegen oder zeitweise ausschalten. Für Mails und Nachrichten der sozialen Netzwerke bestimmte Zeiten reservieren. Sich morgens nicht vom Handy, sondern von einem separaten Wecker wecken lassen und das Handy vor dem Schlafengehen ausschalten.
  • Kleine, gut erreichbare Ziele setzen. Die Qualität so gut wie nötig, nicht so gut wie möglich!
  • Anfangen, auch wenn der Termin (scheinbar) noch weit weg ist. Was weg ist, ist weg.
  • Erfolge sollen und wollen gelobt und belohnt werden. Dafür nicht auf andere warten, sondern sich selbst loben und belohnen.
  • Manche Aufgaben benötigen Geduld. Größere Aufgaben in Teilaufgaben gliedern und jede Teilaufgabe würdigen.
  • Versagen als Lernprozess begreifen und daraus lernen, anstatt in Schuldgefühle zu versinken.

Oft können Betroffene mit diesen Tipps, konsequent längere Zeit angewandt, ihr Verhalten schon selbst deutlich verbessern. Darüber hinaus gibt es Beratungsangebote z.B. für Studierenden an den Universitäten. In schweren Fällen, wenn ein Alltagsleben nicht mehr möglich ist, sollten Betroffene psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.

Weiterlesen: „Aufschieberitis“

Autogenes Training – Was ist das?

Das Autogene Training ist eine wissenschaftliche Methode der konzentrativen Selbstentspannung. Es wurde vom Psychiater und Psychotherapeut J.H. Schultz (1884 – 1970) aus den Erfahrungen der medizinischen Heilhypnose heraus begründet und seither immer wieder überprüft und weiterentwickelt.

Das Autogene Training besteht ausschließlich aus geistigen Übungen, wobei „Übung“ weniger als eine Art von sportlicher Leistung zu verstehen ist, sondern eher als ein Loslassen allerlei störender Gedanken, Gefühle und Empfindungen. Vielmehr geht es um eine Hinwendung „Konzentration“ zu ganz bestimmten Gedanken, welche bestimmte körperliche Reaktionen auslösen und zur Entspannung führen.

In der Unterstufe wird nach der Ruhetönung „Ich bin ganz ruhig“ mit sechs vorgegebenen Übungen gearbeitet, welche bei einem Körperteil beginnen und sich auf den gesamten Körper ausbreiten.

Die Oberstufe führt noch tiefer in die Versenkung und ist in der Intensität vergleichbar mit Hypnose. Sie ist rein individuell und als Innenschau ein Zugang zum Unbewussten, sowohl zu unseren unbewussten Konflikten als auch zu unseren unbewussten Fähigkeiten!

Die erste Übung der Unterstufe „Mein rechter (bzw. bei Linkshändern der linke) Arm ist schwer“ dient der Muskelentspannung und die zweite Übung „Mein rechter (bzw. linker) Arm ist warm“ der Gefäßentspannung. Es folgen noch vier weitere Übungen für das Herz, den Atem, den Bauch und die Stirn. 

Den sechs vorgegebenen Übungen kann eine weitere, ganz individuelle Übung angeschlossen werden, mit der die eigentliche Einstellung zum Leben und zu sich selbst wirksam beeinflusst werden kann wie z.B. „Ruhe und Gelassenheit in allen Lebenslagen“, „Ich vertraue mir“ „Ich achte auf mich“…

Zum Schluss wird zurückgenommen mit der Formel „Arme fest, tief atmen, Augen auf“, um aus dem verminderten Bewusstseinszustand herauszutreten und wieder voll und ganz da zu sein.

Es ist einige Geduld und Ausdauer notwendig, bis diese Übungen soweit und gut klappen, dass der gesamte Organismus in den Zustand der optimalen Muskelentspannung und Wärmeregulation kommt und in ausgewogener Harmonie arbeitet.

Ich empfehle daher das Üben in einer Kleingruppe unter professioneller Anleitung. Investieren Sie in Ihre Gesundheit und Wohlbefinden. Ihre Mühe lohnt sich langfristig!

„Wie Coronastress uns krank macht“

lautet der Artikel des Interviews mit dem Wirtschaftspsychologen Bertolt Meyer der Stuttgarter Zeitung vom 4.1.22. Zwar geht es dabei vordergründig um Arbeitsstress wegen Corona. Besonders bedeutsam finde ich aber, dass im Interview darüber aufgeklärt wird, dass Achtsamkeit, Resilienzschulung, Stressmanagement-Training, Yoga o.ä. nicht vor den negativen Folgen chronischer Überlastung am Arbeitsplatz schützt, sondern vielmehr der Arbeitgeber dafür sorgen muss, dass nicht viel zu viel Arbeit von viel zu wenigen Leuten geleistet werden muss.

Meiner Meinung nach wird leider noch viel zu oft bei hauptsächlich strukturellen Problemen lediglich der/die Arbeitnehmer*in in die Pflicht genommen. Gerne werden hierzu Führungskräfte zu Fortbildungen verpflichtet, in denen sie hauptsächlich lernen, wie sie ihre Mitarbeiter*innen am besten dazu bringen, für diese strukturellen Probleme (z.B. nicht besetzte Stellen, hohe Fluktuation, überdimensionierte Projekte, Streit zwischen Abteilungsleitern, unklare Aufgabenstellung…) die komplette Verantwortung zu übernehmen, etwa indem eine Beratung bei der Betriebspsychologin oder Besuch beim Betriebsarzt nahegelegt wird, gerne verbunden mit der mehr oder weniger versteckten Drohung, dass eine Ablehnung der angebotenen „Hilfe“Stellungen Konsequenzen haben wird. Da betriebsärztlicher und betriebspsychologische Dienst der Betriebsleitung unterstellt sind, haben diese meist keine echte Handlungskompetenz. Gerne empfehlen diese dann trotz Kenntnis der hauptsächlich strukturellen Probleme und sozusagen als Steigerung der Abschiebung von Verantwortung den betroffenen Mitarbeitenden lieber eine Psychotherapie, anstatt sich mit der Betriebsleitung anzulegen. Und manchmal ist eine hohe Fluktuation auch beim betriebspsychologischen Dienst gegeben…

Eine Psychotherapie kann bei bestimmten Fallkonstellationen auch mal der falsche Weg sein und sogar mehr schaden als nutzen. Ich habe mich daher über die kompetenten und gleichzeitig mutigen Aussagen des Interviews sehr gefreut.

Resilienz – Schutzschirm für die Seele

endlich einmal fiel mir ein Artikel über Resilienz in die Hände, welcher das beliebte, angesagte, aber auch reichlich überstrapazierte Thema Resilienz vom mythologischen Himmel der angeblich beliebig und grenzenlos formbaren Psyche auf die irdische Ebene holt. Sehr gut gefiel mir der geschilderte globale, breitgefächerte und langfristige Ansatz. Schließlich geht es um das Zusammenspiel von Anlagen, Umwelt und langjährigen Erfahrungen. Ein einzelner Vortrag, Kurs oder Workshop kann bestenfalls Anregungen geben und ein nützlicher Baustein hin zu mehr Widerstandskraft sein, diese aber keinesfalls vollumfänglich herstellen, so als ob einem nie (wieder) etwas anhaben könnte. Auch der Hinweis auf den Unterschied zwischen Resilienzförderung und Stressprävention ist sehr nützlich, da diese beiden Begriffe immer wieder durcheinanderpurzeln.

Besonders wertvoll fand ich, dass die Autorin auch auf das Stigma einging (welchem leider bestimmte Bevölkerungsgruppen immer noch und immer wieder ausgesetzt sind – der Artikel bezog sich auf hörgeschädigte und gehörlose Menschen) und klarstellt, dass die Auswirkungen von Stigmatisierung nicht vollständig durch eine gute Resilienz abgemildert werden können. Denn das hätten Betroffene ja gerne, eine Art „seelisches Rezept“, das sie so stärkt, dass ihnen auch noch die übelsten Herabwürdigungen, Ausgrenzungen und Beleidigungen nichts mehr anhaben können oder – wenn wir auf der beratenden und/oder therapeutischen Seite sind – wir unseren Klient*innen einfach nur die „Heile-heile-Segen-Pille“ verabreichen müssten und schon wäre alles gut. Aber die Autorin, die Psychologin Frau Johnson, tut uns diesen Gefallen nicht und das ist gut so. Den ausführlichen Artikel finden Sie in der Fachzeitschrift Spektrum Hören Nr. 6 November/Dezember 2021 ab Seite 48. Ich kann Ihnen diesen Artikel nur wärmstens empfehlen.

Bisexualität & Co. damals und heute in Medizin und Gesellschaft

Der Artikel „Wenn Liebe keine Grenzen kennt“ in der Stuttgarter Zeitung vom 13.11.2021 von Nina Ayerle veranlasste mich, über deren Stellenwert in Geschichte und Gesellschaft insbesondere aus medizinisch-diagnostischer Sicht nachzudenken.

Bemerkenswert ist, dass die im Artikel erwähnte Studie von Kinsey (es kann nicht generell als hetero- oder homosexuell eingeteilt werden, es gibt bei den allermeisten verschiedene Abstufungen), bereits seit 1948 vorliegt – wir uns aber im Jahre 2021 immer noch schwer tun, Menschen, deren sexuelle Identität nicht der Mehrheit entspricht, zu akzeptieren. Dabei suchen wir uns unsere sexuelle Neigung nicht aus, sondern sie entwickelt sich schon früh, ist Teil unserer Persönlichkeit und kann auch nicht umgepolt werden durch Strafen, Therapie o.ä.

Es ist kein Glanzstück unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, dass wir nach Veröffentlichung des Kinsey-Reports noch Jahrzehnte benötigten, um z.B. Homosexualität aus der strafrechtlichen Ecke herauszuholen. Auch im medizinisch/therapeutischen Bereich lief es nicht besser. Verschiedene Therapien zur Heilung von „sexuellen Perversionen“ (so war damals die Sprachregelung) wurden noch lange Zeit angewendet wie z.B. die Umstellung von Homosexualität durch ärztliche Hypnose (s. Buch „Seele ohne Angst“ von Dr. Heinrich Wallnöfer, Hoffmann und Campe Verlag von 1969, Seite 157 ff.) oder verhaltenstherapeutisch mit der sog. „Aversionstherapie“. Dass Bisexualität davon nicht erfasst war, dürfte wohl hauptsächlich daran liegen, dass Betroffene aufgrund der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation „freiwillig“ den „richtigen“, nämlich gegengeschlechtlichen Partner „wählten“.

Heute wissen wir, dass es eine große Einengung und schweres seelisches Leid bedeutet, seine sexuelle Neigung komplett unterdrücken und ein der eigenen Veranlagung gegenteiliges Leben führen und nach außen darstellen zu müssen. Trotz rechtlicher und medizinischer Rehabilitation ist die gesellschaftliche Anerkennung noch nicht überall erreicht und Betroffene befinden sich nach wie vor im Minderheitenstress. Den diesbezüglich im Artikel geschilderten Aussagen der Psychologin Cornelia Kost kann ich nur zustimmen: Auch heute stoßen viele Betroffene noch auf Widerstand, wenn sie sich outen. Es gibt kein Patentrezept und ist eine sehr individuelle Entscheidung, ob jemand sich outen möchte oder nicht. Es gibt keine Verpflichtung dazu und es müssen sowohl äußere Faktoren (konservatives Umfeld mit dem Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie, religiöse Normen…) als auch innere Faktoren (wieviel Widerstand, Verurteilung, Angriffe, Beschimpfungen kann ich ertragen?) bedacht werden.

Helfen bei der Entscheidungsfindung können Gespräche mit Mitbetroffenen, Selbsthilfegruppen oder eine fachlich qualifizierte Beratung, bei der auch gerne das Outing in einem Rollenspiel einfach mal ausprobiert werden kann.

Höranstrengung

Mein zum Thema „Höranstrengung“ verfasster Leserbrief wurde in der Fachzeitschrift für Menschen mit Hörbehinderung „Spektrum Hören“ Ausgabe Nr. 6 November/Dezember 2021 abgedruckt. Er bezog sich auf den sehr lesenswerten Artikel über das Thema Höranstrengung in der vorherigen Ausgabe Nr. 5 September/Oktober 2021. Einen Überblick über die Zeitschrift finden Sie unter www.spektrum-hoeren.de.

Hier der Text meines Leserbriefes:

Sehr geehrte Frau Facius,

vielen Dank für Ihren sehr lesenswerten Artikel über die Höranstrengung. Sowohl als selbst Betroffene als auch in meiner Arbeit kann ich bestätigen, dass sich Hörbeeinträchtigte schneller erschöpft fühlen als gut hörende Menschen. Auch der Hinweis von Frau Renee Iseli-Smits im daran anschließenden Artikel „Nebeneffekt Hörermüdung“, dass das eigene Leben umgestellt werden muss und die eigene Zeit möglichst „energiesparend“ geplant werden muss, halte ich für sehr wichtig. Schließlich kann auch die beste Technik die Beeinträchtigung nicht ganz beseitigen und können genug Pausen, angemessene Freizeitgestaltung, Aufklärung der Mitmenschen, angepasste Freizeitbeschäftigungen, eine andere Gestaltung des Arbeitsalltags bis hin zum Wechsel des Arbeitsplatzes oder gar des Berufes hilfreich und notwendig sein.

Darüber hinaus möchte ich folgendes ansprechen: Am Ende eines Tages wissen Betroffene oft nicht so recht, was genau sie so erschöpft sein lässt. Denn es gibt im Leben jede Menge andere Probleme: Konflikte, Kompetenzgerangel, Kampf um Posten und Karriere, verschiedene große und komplizierte Projekte, die am besten gleichzeitig und möglichst schon vorgestern erledigt sein sollen… dazu private Konflikte, Trennung, Scheidung, Tod von Angehörigen und Freunden, Erziehung der Kinder, pflegebedürftige Angehörige, Streitigkeiten im Verein… also haben Menschen mit Hörbeeinträchtigung all das, was gut hörende Menschen auch haben – aber mit fehlendem oder beeinträchtigten Hörsinn sind diese Schwierigkeiten schwerer zu stemmen. Dazu kommt, dass Hörbeeinträchtigte oft auch mehr oder weniger sprachlich beeinträchtigt sind und daher nicht so gut wie andere ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern können, es ihnen also oft nicht oder nicht gut gelingt, sich Gehör zu verschaffen.

All das sehe ich nicht nur als Defizit, sondern führt manchmal zu sehr kreativen Auswegen, Umwegen, Lösungsmöglichkeiten und ganz besonderen Fähigkeiten. Nur ist dies den Betroffenen oft nicht bewusst. Bei geringem Selbstwertgefühl werden eigene Leistungen oft nicht bemerkt, werden anderen Personen aus ihrem Umfeld zugeschrieben oder werden klein geredet. Da ist es gut, wenn Betroffene sich von Zeit zu Zeit eine Hörpause gönnen, zurückschauen und sich selbst auf die Schulter klopfen für das, was sie bereits geschafft haben. Und nicht vergessen: zu überlegen, wer sie gut unterstützt hat, wem sie dafür danken möchten und wer noch in die Pflicht genommen werden muss und welche Beziehung keine Chance mehr hat und losgelassen werden muss.

Rosa Petrovic Heilpraktikerin für Psychotherapie Audiotherapeutin (DSB) Zuffenhausen