In einem denkwürdiges Gespräch im privaten Kreise erzählte mir eine ältere Person von einem Erlebnis im Kindergarten, welches sie damals sehr geängstigt hatte. Dies erinnerte auch mich an ein Erlebnis, welches mich nicht nur geängstigt, sondern auch sehr beschämt hatte.
Ich erläuterte meinem Gegenüber, dass die damaligen, durchaus üblichen Vorgehensweisen, um Kinder zu bestrafen, zu disziplinieren oder einfach ruhig zu stellen, aus heutiger Sicht zur „schwarzen Pädagogik“ gehörten und heute nicht mehr üblich seien. Bei damals üblichen fast vierzig Kinder in einer Gruppe mit zwei Betreuungspersonen sei eine gute Betreuung gar nicht möglich gewesen. Um ihren Berufsalltag dennoch irgendwie zu bewältigen, hätten diese zu den genannten Methoden der schwarzen Pädagogik gegriffen.
Vielleicht erinnern Sie sich ebenfalls an einen damals sehr belastenden „Kinderkram“ und denken vielleicht: „Das ist doch schon so lange her“ – und schieben übermäßigen Selbstzweifel, Schuldgefühle, Lern- und Arbeitsstörungen, Beziehungsprobleme, andere seelische Probleme beiseite oder weisen sie einer einzigen Ursache, z.B. Vererbung oder unpassender Erziehungsstil der Eltern, zu. Meist haben wir jedoch eine Verbindung von körperlichen, psychologischen und sozialen Ursachen, die uns leidend machen (biopsychosoziales Modell).
Wenn Sie eine gute Fähigkeit zur Selbstanalyse bzw. Selbstreflexion haben und sich immer mal wieder ein wenig Zeit nehmen bzw. sich die Zeit auch gönnen, sehen Sie allmählich klarer und können die einzelnen Gefühle und Empfindungen den jeweiligen Ereignissen zuordnen und angemessen bewerten. Am wichtigsten ist die zeitliche Zuordnung: Was vergangen ist, soll im Gehirn als vergangen abgespeichert und erinnert werden. Dies verhindert ein unangemessenes Ausagieren im Hier und Jetzt aus nichtigem oder geringem Anlass und es bleibt mehr Kraft für die Lösung heutiger Probleme. Bei Bedarf kann professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
Über das Thema „Kinderkram“ habe ich auch im Blättle des Schwerhörigenvereins Stuttgart einen Artikel veröffentlicht. Dort interessiert natürlich besonders die Auswirkung der Hörschädigung. Man könnte ja versucht sein zu sagen, es gäbe keine, denn alle Kinder waren mehr oder weniger von der damals üblichen „schwarzen Pädagogik“ betroffen. Dennoch gibt es Unterschiede im Erleben:
Bei Bestrafungsaktionen wusste das gut hörende Kind meistens, wofür es bestraft wurde und konnte sein Verhalten eher darauf einstellen, während das hörgeschädigte Kind oft keinen Zusammenhang zwischen eigenem Verhalten und Strafe herstellen konnte. Es erlebte die Strafe eher schicksalhaft wie eine Strafe für das, was es ist (als Person), als für ein bestimmtes, unerlaubtes Verhalten. Außerdem war der Anpassungsdruck riesig und nicht wirklich zu leisten. Entweder wurde das Kind ganz still und daher „vergessen“ oder es lehnte sich auf und wurde besonders „unartig“, was weitere Bestrafungen nach sich zog. Dennoch haben viele der älteren Vereinsmitglieder ihren Weg gemacht, einen Schul- und Berufsabschluss, Familie gegründet… Manche engagieren sich ehrenamtlich im Verein. Das verdient Verständnis für ein paar verbliebene Macken und großes Lob für das Erreichte!
Mit viel Geduld, Hartnäckigkeit und Neugierde auf das eigene Erleben und Verhalten im Zusammenhang von Umwelt und Lebensgeschichte lässt sich auch bei eher ungünstigen Voraussetzungen so einiges erreichen und verbessern. Ich ermutige Sie frei nach Immanuel Kant mit einer kleinen Ergänzung von mir: Haben Sie den Mut, sich Ihres eigenen Verstandes – und Ihrer eigenen Psyche – zu bedienen!